Unterwegs

Ich kann kaum fassen, wie groß der Flughafen in Paris ist. Ein Shuttlebus muss mich von dem Gate, an dem ich lande, zu dem Gate fahren, an dem die Maschine nach Tel Aviv starten wird. Fünf Minuten sind wir unterwegs. Danach geht es weiter durch düstere Gänge, gerade in der Renovierung begriffen, menschenleere Hallen und hinein in einen gigantischen Wartesaal, wo die Leute reihenweise dasitzen und geduldig auf die Weiterreise warten. Durchs Fenster können wir schon die Flugzeuge sehen, mit denen die Reise weitergehen wird.

Der Flug war günstig, um den Geldbeutel zu schonen, aber etwas ungünstig, was Route und Ankunftszeit angeht. Drei Stunden muss ich in Paris warten, um dann um 4.50Uhr Ortszeit in Tel Aviv anzukommen. Da uns Tel Aviv eine Stunde voraus ist, wird es auf meiner inneren Uhr gerade mal 3.50Uhr sein. Na, herzlichen Glückwunsch! Immerhin gibt es auf dem kurzen Flug von Stuttgart nach Paris überraschenderweise einen kleinen Snack und Getränke.

Wo fliege ich da eigentlich hin?

Ich weiß nicht recht, ob ich mich freuen oder mir Sorgen machen soll. Besonders gut vorbereitet bin ich nicht. Erst vorgestern habe ich mir endlich mal einen Reiseführer für Tel Aviv besorgt, die letzten Wochen waren stressig und vollgestopft mit Arbeit. Viel Zeit für die Reiseplanung blieb da nicht. Lediglich ein paar Unterkünfte hatte ich gebucht, ein Freund hatte sich Wanderungen und besondere Sehenswürdigkeiten ausgesucht und die Reiseroute festgelegt. Ich bin gespannt auf dieses Land – oder sollte ich sagen: diese Länder? Erst jetzt, da ich selbst dorthin reise, habe ich mich ein klein wenig über die politischen Gegebenheiten im Land informiert. Wie jung der Staat Israel noch ist, war mir vorher nicht bewusst gewesen. Und auch den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern hatte ich nie richtig durchschaut. Erst jetzt, da mich einige Freunde verwundert gefragt hatten: „Ja, ist das denn sicher?!“, als ich ihnen erzähle, wo es in meinem Urlaub hingeht, horche ich auf. Ist es sicher? Ist es wohl, allem Anschein nach. So „sicher“ wie momentan so ziemlich überall auf der Welt. Und dennoch: Selbstmordattentate waren in Tel Aviv in der Vergangenheit keine Seltenheit. Das Militär soll wohl stark vertreten sein – doch macht das ein Land sicher? Durch Betlehem verläuft eine Mauer, wer die Grenze übertreten will, muss stundenlange Wartezeiten in Kauf nehmen. Ausgerechnet die Stadt, in der angeblich vor etwas über 2000 Jahren der Friedensbringer der Christenheit zur Welt gekommen sein soll, herrscht nun Uneinigkeit, herrscht Krieg. Mir wird etwas mulmig, wenn ich daran denke, was mich dort wohl erwartet.

Was finde ich vor?

Der junge Staat Israel ist kürzlich aus der Unesco ausgetreten. Sehr kürzlich sogar, im Oktober. Er folgte damit dem großen Vorbild USA auf dem Fuße, welche schon im Sommer ausgetreten waren. Der Grund: Israelfeindliche Tendenzen seien in der Unesco wahrgenommen worden. Zum ersten Mal noch unter Obama, 2011, als Palästina als Vollmitglied anerkannt wurde. Schon damals stellte der damalige US-Präsident die Zahlungen an die Unesco ein. Nun wurde die Altstadt Hebrons als palästinensisches Weltkulturerbe anerkannt. Für die USA und Israel Grund genug, ihre Mitgliedschaft zu beenden. Für meine Arbeit ist das ein bedeutsamer Schritt: Was wird aus den 2000 Bauahus-Gebäuden, die 2003 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurden? Der Denkmalschutz ist in Israel sowieso ein brisantes Thema, wird vom Staat kaum unterstützt. Die Besitzer der Bauhäuser, meist Privateigentümer müssen sich daher so manches einfallen lassen, um ihre Häuser zu erhalten, zu renovieren. Die Natur arbeitet gegen sie: Die Nähe zum Meer, die Hitze im Sommer, das Salz und die hohe Luftfeuchtigkeit machen den nunmehr 70 Jahre alten Gebäuden schwer zu schaffen. Was also tun, wenn kein Geld da ist, um die aufwändige Renovierung zu bezahlen? Es wurde ein Gesetz erlassen, das es den Besitzern der Häuser erlaubt, sie um zwei Stockwerke aufzustocken. Das macht sie als Wohnraum attraktiver – und die Kosten hierfür können auf die Mieter abgewälzt werden.

Deutsch-israelisches Erbe?

Erst letztes Jahr hat sich dann auch noch das Bundesbau-Ministerium in den Denkmalschutz in Israel eingemischt. Es hat Gelder locker gemacht, um die israelischen Kollegen bei der Restaurierung zu unterstützen. Schließlich handele es sich bei den Bauhaus-Gebäuden in Tel Aviv ja um deutsch-israelisches Erbe. Soso? Mich macht das stutzig. Da werden jüdische Architekten von einer antisemitischen und nationalsozialistischen Regierung aus dem Land vertrieben, sehen sich gezwungen, anderswo Heimat zu finden, und bauen dort, eher zufällig, Häuser nach dem Vorbild, das sie in Deutschland am Bauhaus kennengelernt haben. Und siebzig Jahre später, nach einem verheerenden Weltkrieg und dem Holocaust, der Millionen Juden das Leben gekostet hat, kommt die deutsche Regierung auf die Idee, diese Häuser zu schützen? Für mich hat das ein „Gschmäckle“… Aber hat es das für die Tel Avivim auch? Welchen Eindruck macht die deutsche Unterstützung auf sie? Nimmt der gemeine Tel Avivim sie überhaupt wahr? Und was ist mit Micha aus dem Bauhaus-Center und Professor Neuman von der Azrieli School of Architects? Freuen die sich über das Geld aus Deutschland, weil sie die in ihrer Funktionalität und Schlichtheit so schönen Häuser ebenfalls bewahren wollen?

Ich habe viele Fragen, viele Vorurteile auch, das muss ich ehrlich gestehen. Werde ich Antworten finden? Und werden sie meine Vorurteile bestätigen – oder vernichten?